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GIM Mobilitäts-Monitoring: Wie man mit Bewegungsdaten den R-Wert prognostizieren kann!

Zuletzt aktualisiert: 31. März 2021
GIM Traces
18. November 2020 | Laura Singh

Anfang des Jahres haben wir mit GIM Traces ein neues Geolocation-Tracking Angebot gelauncht. Auf dessen Basis zeichnen wir kontinuierlich das Mobilitätsverhalten der Deutschen nach. Seit der Corona-Pandemie lassen sich mit den Auswertungen des Mobilitäts-Monitorings spannende Zusammenhänge zwischen Mobilität, dem Infektionsgeschehen und der Prognose des R-Werts feststellen. Zu den Ergebnissen haben wir Dr. Jörg Munkes, GIM Geschäftsführer und Leiter unseres quantitativen Forschungsbereichs, interviewt.

Hallo Jörg, vielen Dank, dass Du uns heute durch die neusten Ergebnisse des Mobilitäts-Monitorings führst. Ihr wertet bereits seit Anfang des Jahres Bewegungsdaten aus – wie hat Corona unsere Mobilität verändert?

Dr. Jörg Munkes: Maßnahmen wie der Lockdown im März und April haben dazu geführt, dass die Deutschen ihre Mobilität drastisch reduziert haben. In der Woche vor dem 29. März lag die tägliche Distanz im Durchschnitt nur noch bei 6,4 km – an dem Sonntag selbst sogar lediglich bei 1,8 km. Zum Vergleich: Vier Wochen vorher waren die Menschen durchschnittlich etwa 16 km pro Tag unterwegs. Erst Mitte September wurde dieses Niveau wieder erreicht und sinkt seither wieder kontinuierlich ab.

Was lässt sich aus diesen Bewegungsdaten im Hinblick auf die Corona-Pandemie noch rauslesen?

Daten zur Mobilität können uns ein Gefühl dafür geben, ob wir uns in einem stärker oder schwächer werdenden Infektionsgeschehen befinden. Wir wissen, dass das Infektionsgeschehen sehr stark durch unser Verhalten und vor allem auch durch die Anzahl unserer Kontakte mit anderen Menschen beeinflusst wird. Zwar ist die tägliche Kontakthäufigkeit von Menschen nicht so ohne weiteres messbar, es gibt aber ein indirektes Maß hierfür: Die Distanzen, die ein Mensch jeden Tag zurücklegt – je niedriger diese sind, desto weniger Kontakte mit anderen Menschen finden statt. In anderen Worten: Die täglichen Distanzen können ein guter Indikator für das aktuelle Infektionsgeschehen in Echtzeit sein.

GIM Traces Mobilitäts-Monitoring - Bewegungsdaten zur Prognose des R-Werts

Die Entwicklung der täglichen Distanzen (Median) im 7-Tages-Mittel seit Februar 2020

 

Spannend! Ihr habt die Daten zu den täglichen Distanzen auch mit der Entwicklung des R-Werts verglichen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Maßzahlen?

Ja, in der Tat konnten wir auf Grundlage unserer Daten einen Zusammenhang zwischen den täglich zurückgelegten Distanzen und der Reproduktionszahl, also dem R-Wert, feststellen. Der R-Wert gibt bekanntermaßen an, wie viele andere Menschen ein Infizierter ansteckt und ist ein wichtiger Indikator für die Entwicklung der Pandemie. Aufgrund der Inkubationszeit zeigen Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen oder die Schließung von Freizeiteinrichtungen allerdings nur verzögert ihre Wirkung. Jetzt kommen die Daten zu den täglichen Distanzen ins Spiel: Sie können uns bei einer Prognose des R-Werts 14-Tage später helfen.

Kannst du die Korrelation zwischen den beiden Maßen genauer erklären?

Am besten erkennt man den Zusammenhang mit einem Blick auf das Schaubild, das ich mitgebracht habe (s. Grafik unten). Die täglichen Distanzen siehst du in der linken Y-Achse in Kilometern und den 7-Tage-R-Wert in der rechten Y-Achse. Das Schaubild zeigt den zeitlichen Verlauf seit dem ersten Lockdown im März bis zu den Kontaktbeschränkungen Ende Oktober. Und man erkennt unschwer: Nach einem Anstieg der täglichen Distanzen (in Hellblau dargestellt) folgt zeitverzögert ein Anstieg der R-Werte (in Dunkelblau). Diese Korrelation zwischen den beiden Maßen lässt sich sogar statistisch sichern!

Prognose des R-Werts durch tägliche Distanzen

Schaubild zur Prognose des R-Werts: Nach einem Anstieg der täglichen Distanzen (in Hellblau dargestellt) folgt zeitverzögert ein Anstieg der R-Werte (in Dunkelblau).


Wie das?

Über den sogenannten Korrelationskoeffizienten (r). Dieser zeigt, dass die Korrelation zwischen beiden Maßen r = 0,55 beträgt. Wenn ein perfekter Zusammenhang besteht, nimmt der Korrelationskoeffizient (r) den maximalen Wert von 1 an, wenn gar kein Zusammenhang besteht liegt er bei 0. Ein Korrelationskoeffizient von 0,55 deutet bereits auf eine hohe Korrelation hin! Dieser Zusammenhang wird aber noch höher, wenn ich die beiden Maße für einen späteren Zeitpunkt korreliere – in diesem Fall liegt der Wert sogar bei r = 0,72. Dieser verzögerte Anstieg des R-Wertes lässt sich im Diagramm im September auch gut visuell erkennen.

Und wie können wir auf dieser Grundlage Prognosen für die zukünftige Entwicklung des R-Werts erstellen?

Wer es ganz genau wissen will, der kann den R-Wert in 14 Tagen auf Basis der aktuellen Tagesdistanzen mit folgender Formel schätzen:
R-Wert = 0,045 x Tagesdistanz + 0,48.

Natürlich ist diese Rechnung nur eine Hypothese – aber eine ziemlich naheliegende. Mit täglichen Distanzen unter 11,6 km (pro Person und im Median) sollte nach dieser Formel auch der R-Wert unter die kritische Marke von 1 fallen. Seit Anfang Oktober sinken die täglichen Distanzen kontinuierlich – ebenso wie die R-Werte 14 Tage später begonnen haben zu sinken.

Dann interessiert mich zum Abschluss natürlich noch die ganz aktuelle Prognose des r-werts: Wie groß sind unsere Distanzen momentan und was heißt das für den R-Wert in 14 Tagen?

Die zurückgelegte Distanz in der Woche bis zum vergangenem Freitag (13.11.) lag zufällig genau bei den gerade erwähnten kritischen 11,6 km pro Person. Führen wir die Rechnung für diesen Zeitpunkt durch (0,045 x 11,6 km + 0,48), ergibt sich demnach für den Freitag zwei Wochen später (27.11.) eben der R-Wert von 1,0. Es kann natürlich sein, dass sich in dem aktuellen „Lockdown Light“ der Zusammenhang zwischen täglichen Distanzen und Kontaktzahlen verändert hat (und somit auch der Zusammenhang mit dem R-Wert), da Einzelhandel und Schulen weiterhin offen sind – dennoch kann man festhalten, dass beim gegenwärtigen Mobilitätsniveau ein starker Rückgang des R-Wertes genau so unwahrscheinlich ist wie ein starker Anstieg.

Vielen Dank, Jörg! Wir sind gespannt auf die weiteren Entwicklungen und das nächste Update zum Mobilitäts-Monitor :)

GIM Geschäftsführer Dr. Jörg Munkes

Dr. Jörg Munkes ist seit 2003 bei der GIM tätig und
erweitert seit 2019 die Geschäftsführung. Er ist
Leiter des quantitativen Forschungsbereichs.

E-Mail: j.munkes@g-i-m.com

 

 

Mit dem Trackingpanel GIM Traces erfassen wir seit Januar kontinuierlich Bewegungsdaten von etwa 3.000 Menschen in Deutschland und können so die täglichen Distanzen berechnen und diese in Beziehung zu den R-Werten setzen. Mehr über GIM Traces erfahrt Ihr auf folgender Website: www.gim-traces.com

Auch interessant: Zu den Werteorientierungen und -veränderungen während der Coronakrise, haben wir ebenfalls eine Studie veröffentlicht (hier klicken für mehr Infos).

Headerbild: istock.com/Marco_Piunti

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